«Schlüssel» Winter 2013

Schlüssel > 4/4 > November 2013 > 3 Editorial «Und das kannst Du dann essen?» Ich erinnere mich noch gut an die entsetzten Gesichter meiner Schulkollegen, wenn ich früher einge- stehen musste, dass wir unsere Kaninchen nicht nur kuschelten und versuchten, ihnen Kunststücke beizubringen (was übrigens sehr schwierig ist), sondern dass wir sie auch schlachteten. Meine Mutter stammt von einem Bauernhof, und sie hatte ein anderes Verhältnis zu Tieren als die Städter. Ausser Hund und Katze, die ihre spezi- fischen Aufgaben zu erledigen haben, hält man Tiere, um sich zu ernähren. Also hatten wir Kinder die Wahl, Kaninchen zu haben und regelmässig durch neue zu ersetzen oder eben keine zu haben. Zwerg- häschen oder sonstiges «Plüschge- tier» fand meine Mutter unnötig. Sie war stets sehr streng mit uns, dass wir die Tiere gut behandelten. Nachlässiges Misten wurde nicht geduldet. Wenn wir sie beim Spielen zu fest triezten, konnte sie richtig böse werden. Und sie war eine schlaue Mutter: Sie suchte stets Rassen aus, die so gross werden, dass wir Kinder die erwachse- nen Tiere kaum noch auf dem Arm halten konnten, sodass der Ku- scheleffekt mit zunehmendem Alter der Tiere nachliess. Und wenn dann wieder Kleine da waren, die ja sooooo herzig sind, war es nicht mehr schlimm, wenn ab und zu ein Grosser fehlte. Und geschmeckt haben sie schon sehr fein. Soweit ich als Nicht-Bäuerin heute einen Einblick in die Land- wirtschaft erhaschen kann, stelle ich fest, dass viele Bauernbetriebe ähnlich funktionieren wie unser Haushalt früher. Es wird darauf geschaut, dass Tiere gut und artgerecht gehalten werden. Sie sollen es ihr kurzes Leben lang gut haben. Das hat zum einen finanzielle Gründe, denn gut gehaltene Tiere werden weniger krank und «ge- deihen» besser. Aber es hat auch mit der Mentalität der modernen Bauern zu tun. Diejenigen, die im hart umkämpften Nahrungsmit- telmarkt überleben können, sind solche, die tief im Inneren die Verbundenheit mit Flora und Fauna verwurzelt haben und die mit diesen festen Wurzeln in die Marktwirtschaft starten können. Denn fast genauso viel wie die Mistgabel benutzt ein Landwirt heute den Taschenrechner. Seine Aufgaben in Landschaftspflege, Forstarbeit, Tierzucht und die Zusammenar- beit mit Naturschutz sind vielfältig und sehr anspruchsvoll. Manche Bauern meinten, sie könnten «über- leben», indem sie ihr Land auf Teu- fel komm raus überdüngten und ausbeuteten. Sie haben es nicht ge- schafft und mussten aufgeben. Die, die sich noch immer behaupten können, denken langfristig und tragen Sorge zu ihrem Umfeld. Ein Bauer ist Unternehmer und trägt in seinem Produktions- feld ein hohes Risiko. Der Markt unterliegt starken Schwankungen, die der Produzent nicht beeinflussen kann. So bodigt zum Beispiel ein Gammelfleischskandal die Preise für Schweinefleisch innert Stunden. Eingeschleppte Feuerbrandbakterien können die Arbeit von Jahren vernichten. Solche Risiken in Kauf nehmen kann wohl wirklich nur jemand, der ein besonderes Verhältnis zur Natur hat und der auf ganz spezielle Art mit ihr verbunden ist. Ich gebe zu, ich habe Hochachtung vor den Bauern und Bäuerinnen, die sich der Arbeit und den Risiken stellen. Und manchmal, wenn draussen schönes Wetter ist und ich an meinem Schreibtisch sitze, bin ich ein wenig neidisch, dass sie so einen schönen Arbeitsplatz haben. Ein Bauer ist Unternehmer und trägt ein hohes Risiko. Saskia Haueisen, Redaktion Schlüssel

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